Archiv für den Monat: November 2010

eines von Tausend Leben – frei nach Cees Nooteboom

„ich hatte wohl tausend Leben, jedoch nahm ich nur dieses!“ – wieso wollte ich gewusst haben, welches dieser Tausend zur Auswahl stehender Leben ich genau gewählt hatte, habe ich wirklich gewählt? Kaum mit menschlichem Bewusstsein, denn dieses habe ich doch erst so um meine Pubertät – empfindbar eigenständig – entwickelt. Dann zumal, als, wie ich später erst bemerkte, meine Seele ob den vielen weltlichen Eindrücken, von ihnen geradezu erdrückt, verstummte.
Ah ja, hatte sie vielleicht aus diesen Tausend Leben genau dieses eine auserwählt – auserwählt, wie pathetisch das aus übergangen gefühltem Ich tönen mag. Doch, jetzt wird sogar die Hybris still … – wenn die Seele, die meine, dieses Leben für mich gewählt, dann kommt ihm wahrscheinlich Bedeutung zu. Wie bei Kant gehört, verstanden hoffentlich, nicht bloss rezitiert: was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch, wenn etwas anderes – auch sei’s die Seele, und erst noch die meine – mir ein Leben zu beschieden hat? Ist mir so dann, auch etwas bestimmt, was ist mir bestimmt?
Heisst etwas, mich ins vermeinte Schicksal zu fügen? Oder, wenn ich es nicht wissen kann, es nicht hoffen darf, sondern fühlen mag? Was empfinde ich? Nun, jetzt, ja! So gewinnt dieses eine Leben, neben den anderen Tausend, an Bedeutung. Mithin erreicht das Gefühl – im Bewusstsein niedergefunden – ein ungebundenes Vermögen, diesem einen Leben Sinniges und Sinnhaftes zuzuerkennen. Mehr, klarer und differenzierter wahrzunehmen: nicht Schicksal ist es, ohne Raum für Wahl und Gestalt nach eignem Sinn. Mehr Fügungen, die dann zur Fügung werden, wenn ich mich noch Schemenhaftem zuwende, ihm im Scheinen meiner Träume und innigster Wünsche Klarheit schenke. Um bald darauf dafür entschieden, klar gezeichnet und mit meinem Streben vermählt, Wahrhaftigkeit zu schenken.
Das eine Leben, eines unter vielen, jedoch nur dieses eine, schenkt sich mir, offenbart mir meine Seele, mein ganzes Wesen ebenso – Wahrhaftigkeit geht in eine höhere Wirklichkeit ein, die Wahrheit selbst: sie bleibt dem unendlich Wissenden verborgen, nur wer glaubt, wer verstehend liebt, oder liebend versteht … . Ach, einerlei – Worte bloss: es ist alles eins, und erschliesst sich sicherlich dem Fühlen weit einfacher, stärker, rascher auch. Sind es Worte bloss, oder bergen sie deutungsvoll, bildlich kräftig, sinnlich weit, den tieferen Sinn, eröffnen sie, wohin die Bestimmung uns zuführt?
Wie ergreift diese Erkenntnis meinen, nun hellwachen Geist – was hält er fest, der Weisheit Kern? Was hat er berührt, was bewegt mein Wesen, von Höherem ergriffen. Selbst Zweifel gehen auf im Vertrauen. Kein Hoffen drängt, kein Wissen verlangt, nur bewusst zu sein, zu wirken: alles, was sich zeigt, so anzunehmen, wie es ist. Was sich zum Guten anerbietet, ohne Verzagen mit eigenem Geschick zu mählen, Verantwortung für alles zu nehmen, frei von Last aus ihr, und sich diesem einen Leben hinzugeben, in ihm der Seele, sich auch, zu geben, was uns eingehen lässt, wo Innerstes und Höchstes sich einen.